Dr. Ernst Fritz-Schubert
Unterricht zum Glücklichsein
17.03.2022 | Dr. Ernst Fritz-Schubert arbeitet als Therapeut, Pädagoge und Buchautor. 2007 führte er an der Willy-Hellpach-Schule in Heidelberg das Schulfach Glück ein, das mittlerweile an über 200 Schulen in Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz unterrichtet wird. Ziel ist es, die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern in der Schule zu stärken. Das von ihm gegründete Fritz-Schubert-Institut hat mittlerweile über 2000 Lehrerinnen und Lehrer für das Schulfach Glück ausgebildet.
Hallo Herr Fritz-Schubert, wie definieren Sie „Glück“?
Es gibt drei Arten von Glück: Zufallsglück, Glücksmoment, Lebensglück/Lebenssinn. Glück fällt nicht nur in Form eines Zufalls vom Himmel, wir dürfen ihm auch auf die Sprünge helfen. Glücksmomente entstehen nämlich auch als Belohnung unseres Tuns.
Zum Leben gehören auch negative Gefühle, wie wir sie jetzt durch den Krieg in der Ukraine oder durch die Corona-Pandemie hinnehmen müssen. Durch sie lernen wir, dass nicht alles im Leben auf Erfolg ausgerichtet sein kann und nicht alles gelingt, nicht pausenlos Glücksgefühle vorherrschen und dass „das gute Leben“ sich manchmal eben auch nicht gut anfühlt.
Das Streben nach Lebensglück ist eine Art rechtzeitige oder vielleicht lebenslange Vorbereitung auf Gelegenheitsstrukturen oder, wie es der Dichter Novalis zuspitzte: „Glück als Talent für das Schicksal“. Manche Menschen sind lebenslustiger, als andere und manchmal kommt es auf die äußeren Umstände an.
Sie sind der Erfinder des „Schulfachs Glück“, das seit 15 Jahren von ausgebildeten Lehrkräften als Pflicht- oder Wahlfach unterrichtet wird. Hätten Sie das selbst gern in der Schule gehabt?
Ja, natürlich, aber die Schule des 21. Jahrhunderts ist heute mehr als eine Einrichtung der Wissensvermittlung, der Sozialisation und Selektion. Bildung, auch schulische Bildung, muss in erster Linie dazu beitragen, dass junge Menschen zu mündigen Bürgern reifen, die nicht an den gestellten Herausforderungen verzweifeln, sich aber auch nicht an jeder Dummheit begeistern. Für diesen Reifeprozess bedarf es mehr als eingebläutes Faktenwissen oder das Erlernen von spezifischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, um schulische oder berufliche Qualifikationen zu erreichen. Vielmehr geht es darum, sich selbst zu entwickeln und zu entfalten, sich als „Mensch zum Menschsein zu begaben.“
Der Mensch wird letztendlich nicht gebildet, sondern er bildet sich selbst. Bildung meint damit den selbstgesteuerten Prozess, in dem „ich mir selbst ein Bild mache von mir, den anderen Menschen und der Welt um mich herum“. Daraus reift die Persönlichkeit und wächst das Selbst mit seinen Kompetenzen und Ressourcen.
Was wird im Glücksunterricht gelehrt?
Die Schule hat laut Kultusministerkonferenz einen auf Persönlichkeitsentwicklung und Weltorientierung abzielenden Bildungsauftrag, der in besonderer Weise die Potenzialentwicklung von Einzelnen und Gruppen unterstützen soll.
Lernen und Potenzialentfaltung, das passt nur zusammen, wenn das Lernen ganz bewusst mit einem Gefühl der Lust als eine tief befriedigende und den eigenen Horizont erweiternde Tätigkeit erlebt werden kann. Dazu gehören Sinnfindung, Geborgenheit, soziale Beziehungen, selbstbestimmtes Handeln, Selbstakzeptanz, Umweltbewältigung und die persönliche Weiterentwicklung. Je früher wir anfangen, die Persönlichkeit zu stärken, desto größer ist die Chance, das von der WHO geforderte körperliche, seelische und soziale Wohlbefinden zu erlangen.
Was macht „glückliche“ Schülerinnen und Schüler aus? Worin sind sie besser, was fällt ihnen leichter?
Glücksschüler fühlen sich wohler und haben ein ganz anderes Gefühl für sich selbst. Diese Kinder und Jugendlichen machen Erfolg nicht nur an der Leistung fest und sind auch nicht gleich traurig, wenn etwas nicht klappt.
Glücksschüler haben auch eine positive Beziehung zu anderen Menschen, sie sind empathischer. Warum? Weil sie erfahren haben, dass es sich lohnt, andere wertzuschätzen und dass es sich nicht lohnt, andere zu demütigen, weil das für einen selbst schlechte Gefühle produziert. In wissenschaftlichen Begleituntersuchungen wurde festgestellt, dass sie sich von „Erduldern“ zu Gestaltern entwickeln. Glücksschüler haben ein anderes Selbstwertgefühl, eine andere Selbsteinschätzung und ein anderes Gefühl, wirklich etwas bewirken zu können.
Eines Ihrer Bücher heißt „Glück kann man lernen: Was Kinder stark fürs Leben macht“. Wie können aus Ihrer Sicht Eltern und andere erwachsene Bezugspersonen Kinder täglich darin unterstützen, ihre Stärken zu finden?
Die Erziehung zum Glück besteht aus vielen kleinen Mosaiksteinen, wobei jedes noch so winzige Steinchen eine tragende Bedeutung für die Zukunft erlangen kann. Kinder müssen lernen, dass die glücklichen Hochgefühle die Sahnehäubchen sind, die unser Leben mit all seinen Höhen und Tiefen verzieren und im Alltag durch Achtsamkeit gefunden werden können.
Kinder müssen auch lernen, Krisen als notwendigen Bestandteil des Lebens zu begreifen. Dinge in Angriff zu nehmen, deren Ergebnis nicht von vorneherein feststeht, auf eigene Faust Zusammenhänge zu entdecken und die Welt für sich zu erobern. Um den Mut dafür aufzubringen, müssen Kinder ihre eigenen Stärken erkennen, dafür brauchen sie auch die Bestärkung von uns Erwachsenen. Es ist zudem Aufgabe der Erwachsenen, Kindern zu helfen, vermeintliche „Schwächen“ in Stärken umzudeuten.
Immer wieder erleben junge Menschen im privaten wie im schulischen Bereich Niederlagen. Wir Erwachsenen dürfen uns dann nicht darauf beschränken, ihnen nur Trost zu spenden. Viel wichtiger ist es, die Kinder oder Jugendlichen durch den Blick nach vorne aufzumuntern und sie möglichst anschaulich und bildhaft an frühere Erfolgserlebnisse zu erinnern.
In einer so komplexen und hektischen Welt wie der, in der wir heute leben, brauchen Kinder dringend Rituale, um außergewöhnliche Ereignisse bewusst wahrzunehmen und zu verarbeiten. Von jeher gelten Rituale auch als besonders geeignet, Verhaltensweiseneinzuüben, die die Gemeinschaft stärken. Möglichkeiten bieten sich viele, von der gemeinsamen Mahlzeit, bei der erst mit dem Essen begonnen wird, wenn alle am Tisch sitzen, über das Gespräch, bei dem wir den anderen ausreden lassen, bis hin zum medienfreien Sonntag, der für gemeinsame Aktivitäten genutzt werden kann.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interessierte Lehrkräfte können sich am Fritz-Schubert-Institut in Heidelberg aus- und weiterbilden lassen.
Informationen gibt es auf der Webseite des Instituts.
Module des Schulfachs Glück
Das handlungsorientierte Konzept für das Schulfach Glück umfasst mit dem Lernziel Wohlbefinden sechs verschiedene Module, die didaktisch und methodisch an die Klassenstufen angepasst werden:
1. Stärken stärken:
Um das Leben zu gestalten, muss sich der eigenen Kräfte und Ressourcen bewusst gemacht werden. Außerdem muss man sich der eigenen Stärken bewusst werden, um diese optimal zu nutzen.
2. Träume wahrnehmen:
Träume sind die Vorstufe von wichtigen Entscheidungen. Mit Hilfe der eigenen Stärken hat man (vielleicht) die Möglichkeit, die eigenen Träume umzusetzen.
3. Entscheidungen treffen:
Entscheidungen haben Konsequenzen auf unsere Gefühle und unsere Beziehung(en). Und sie geben uns einen Sinn, wenn sie mit unseren Motiven übereinstimmen. Aus dem Vergleich zwischen Wunsch und Wirklichkeit ergeben sich Veränderungs- und Entscheidungsmöglichkeiten.
4. Pläne schmieden und 5. Pläne umsetzen:
Wenn die Konsequenzen der Entscheidungen mit den Motiven übereinstimmen, lässt sich ein Plan auch umsetzen. Den Kindern wird gezeigt, wie aus Träumen Wirklichkeit wird. Dafür müssen sie lernen, sich selbst zu motivieren und mit Ängsten umzugehen, da die Umsetzung von Plänen oft mit Anstrengungen verbunden sind.
6. Reflektieren
In einer Rückschau werden das Ergebnis, die Anstrengung und die damit verbundenen Gefühle betrachtet. Diese Erlebnisse und Beobachtungen dokumentieren die Schüler/innen, ebenso ihre Zielsetzungen und Projekte. Diese Dokumentationen bilden dann auch die Grundlage für die Noten.