Dr. Rüdiger Maas
Langeweile macht Kinder stark und kreativ
14.11.24 | Dr. Rüdiger Maas ist Generationenforscher, Psychologe und Buchautor. Seit 2012 erforscht er unter anderem generationenbedingtes Verhalten, gründete hierzu 2017 das Institut für Generationenforschung und ist Wissenschaftlicher Beirat in der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. Im Interview erklärt er, warum Zeit zum Nichtstun wichtig ist, Langeweile und Widerstände Kinder stärken können und warum permanente Bespaßung Kinder in ihrer Entwicklung eher schwächt. Tipps für den Umgang mit Langeweile und für eine kreative Familienzeit gibt der Vater von zwei Kindern ebenfalls.
Lieber Herr Maas,
einfach mal Nichtstun! In unserem heute meist eng getakteten Familienalltag eine Idee, die fast schon Mut braucht. Wir haben immer etwas zu tun und wenn einmal nicht, nehmen wir das Handy in die Hand. Warum sollten Eltern das Nichtstun wieder lernen?
Nichtstun wird in unserer heutigen Welt tatsächlich auf den ersten Blick als sehr negativ angesehen. Auf den zweiten Blick erkennen wir aber, wie kraftspendend eine Auszeit vom ständigen Dauerfeuer sein kann: Eine „Zeit des Nichtstuns“. Mal keine Mails checken, keine Wäsche machen, einfach mal „Nichts“. Wenn Eltern es nicht können, wie sollen es die Kinder lernen? Wir lassen uns sehr stark im Alltag treiben, dank digitalen Geräten werden wir permanent beschallt und gelenkt, wir verlieren so auch ein Gefühl von Autonomie und Mitgestaltung unserer Umwelt und unseres Tagesgeschehens. Nichtstun kann uns tatsächlich auch Struktur geben, eine Struktur, die wir im Alltag oft aufgeben zu Gunsten des Dauerfeuers. Keine gute Umgebung für das Großwerden der Kinder.
Langeweile und Widerstände – so der Untertitel Ihres Buches – machen Kinder stark. Können Sie uns das genauer erläutern?
„Mama, mir ist langweilig!“ braucht ein Kind heute nur zu schreien und schon ziehen die meisten Eltern sich den Schuh an und wollen jetzt die Langeweile ihres Kindes bekämpfen. Aber, es ist erst einmal nicht ihre Langeweile, sondern die des Kindes. Da Eltern sie jedoch zu ihrem Problem machen, werden sie zum „Proaktiven- und Dauerentertainer“. Können sie keine Aktion aus dem Hut zaubern, dann muss das Tablet herhalten. In beiden Fällen werden die Kinder von außen bespielt. Sie lernen somit überhaupt nicht, ihre Langeweile selbst zu bekämpfen, die Umgebung als solche zu nutzen und aus ihr selbst heraus Kraft, Fantasie und Kreativität zu fördern. Zudem wird dadurch auch der eigene innere Antrieb auf Dauer geschwächt.
Wie sollten Eltern statt dessen auf das Nörgeln ihrer Kinder reagieren?
„Dir ist soooo langweilig? Toll, ich bin schon gespannt, was Du daraus machst.“ In der Regel müssten Eltern das Nörgeln etwa fünf bis zehn Minuten aushalten, bis dahin haben Kinder sich meist schon wieder selbst beschäftigt. Idealerweise gebe ich als Elternteil auch keine Tipps vor, auch das können Kinder schon selbst. Gern kann ich mithelfen, wenn die Idee geboren ist, zum Beispiel eine Höhle oder Burg aus Decken zu bauen, aber den Vorschlag und die Umsetzung überlasse ich meinem Kind. Es muss mir genau beschreiben, was ich zu tun habe, nicht umgekehrt. Denn mir war bis dato ja gar nicht langweilig …
Aus Langeweile entsteht Kreativität. Stimmt das?
Absolut! Aus nichts etwas zu erschaffen, aus einem weißen Blatt Papier etwas zu basteln, Gegenstände neu zu definieren – ein Wäschekorb wird zum Piratenschiff, das kann unsere Fantasie erschaffen. Deswegen sind auch Spielsachen mit vorgegebenen Funktionen keine besonderen Langeweile-Killer oder kreativitätsfördernd. Man stelle sich eine Roboterpuppe vor mit fünf Funktionen: Spätestens, wenn die Batterie leer ist, wird die Puppe uninteressant und frühestens, wenn die fünf Funktionen einmal alle durchgespielt sind. Und nun stelle man sich eine herkömmliche Puppe vor ohne eine Funktion: Sie ist nun der Fantasie des Kindes ausgeliefert und die kann grenzenlos sein. Diese Puppe kann infolge gar nicht langweilig werden, denn das Kind hat die Funktionen, die sie für die Puppe ersinnt, selbst erschaffen bzw. selbst kreiert …
Kreative Familienzeit anstatt permanenter Bespaßung, wie kann die aussehen, Herr Maas?
Gemeinsam einen Ausflug machen, zum Beispiel in den Wald oder auf einen Berg gehen. Alle können dabei mithelfen, den Ausflug vorzubereiten. Die Kinder können beispielsweise die Brote selber schmieren, sich das Reiseziel mit aussuchen und selbst bestimmen, wo und wie lange man Stopps einlegt. Idealerweise lassen alle ihr Smartphone zuhause und jeder lässt sich zu 100 Prozent auf den Ausflug ein. Die verpassten Smartphone-Fotos, die man eh nie wieder angeschaut hätte, oder das verpasste Gefühl, die Erlebnisse via WhatsApp-Status- beziehungsweise Instagram-Community zu teilen, wird oft überbewertet. Denn die Digital-Community kann auch sehr wohl ohne unsere Ausflugsbilder auskommen, aber wir erleben ein unvergessliches Erlebnis, das wir uns einprägen.
Vielen Dank für das Gespräch.