Gergana Jordanova, Siegfried Gertel, Hans Gruler
Wie Kampfsport Kinder in ihrem Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein stärkt
19.10.23 | Die Karate-Kindertrainerin Gergana Jordanova, der Kampfsport-Trainer Siegfried Gertel (Judo und Ju-Jutsu) und Taekwondo-Großmeister Hans Gruler (Taekwondo und Kickboxen) sprechen im Interview über die körperlichen, geistigen und sozialen Fähigkeiten, die der Kampfsport bei Kindern schult. Alle drei teilen die Leidenschaft für den Kampfsport – und die Erfahrung, dass Kampfsport Kinder in ihrem Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein stärkt.
Hier stellen wir Ihnen die Kampfsportarten Judo, Karate und Taekwondo im Vergleich vor.
Guten Tag Frau Jordanova, Herr Gertel und Herr Gruler.
Lieber Herr Gertel, Sie sind seit 23 Jahren Trainer für Judo und Ju-Jutsu im Hadashi Fürstenau e.V. Was genau begeistert sie an Judo und was unterscheidet Kampfsport von anderen Sportarten?
Judo ist meine persönliche Lebensphilosophie: Zum einen gilt es, Technik und Kraft im richtigen Moment einzusetzen und sich auszupowern, zum anderen sorgen ein respektvoller Umgang und Hilfsbereitschaft im Rahmen von klaren Regeln für Sicherheit. Diese Judowerte leben unsere Trainerinnen und Trainer vor und die Kinder verinnerlichen sie ganz selbstverständlich.
Beim Judo kommt es nicht auf die Größe, das Gewicht oder andere körperliche Gegebenheiten an. Jedes Kind kann seine individuellen Stärken fördern und zu seinem Vorteil einsetzen. Alle Kinder werden gleich behandelt. Jedes Kind trainiert mit jedem: Größere mit Kleineren, Stärkere mit Schwächeren. Es kommt nicht selten vor, dass ein Kampf anders ausgeht als man es erwartet hat, da Kraft und Technik gezielt ausgelotet werden können.
Herr Gertel, was bewirkt eigentlich das Partner-Training und das gemeinsame Training von Mädchen und Jungen?
Durch das Partner-Training im Judo lernt man bei uns von Kindesbeinen an, Verantwortung zu übernehmen für einen anderen Menschen. Ein Gegner ist beim Judo auch immer ein Partner und oftmals sogar ein Freund, auf den wir angewiesen sind und für den wir zu jeder Zeit eine Fürsorgepflicht haben. Unsere Kinder lernen durch das Partner-Training, ihr Gegenüber einzuschätzen, zu verstehen und mit ihm auszukommen. Dadurch reflektieren sie auch sich und ihr eigenes Verhalten. Auch wenn sie mal gegeneinander kämpfen, das Ziel ist das Miteinander.
Das Geschlecht spielt beim Judo keine Rolle. Wir trainieren gemeinsam und ich habe damit bislang nur positive Erfahrungen gemacht. Oftmals mobilisieren Mädchen alle ihre Kräfte, wenn sie gegen Jungen antreten und probieren alles aus, was sie geübt haben. Und Jungen lernen, sich mit ihren Kräften auch mal zurückzuhalten.
Frau Jordanova, Ihr Karateverein „Stark und Mutig e.V.“ trägt zwei Ziele von „Kinder stark machen“ bereits im Namen. Wie lernt mein Kind denn bei Ihnen im Karate-Training stark und mutig zu sein und was mache ich, wenn mein Kind eher introvertiert und ängstlich ist?
Wir haben den Namen unseres Vereins nicht zufällig ausgesucht, sondern wir sind davon überzeugt, dass Karate das Selbstbewusstsein der Kinder steigert. Auch im Karate hat das Partner-Training einen hohen Stellenwert. Kinder lernen, Verantwortung zu übernehmen, die Partnerin oder den Partner nicht zu verletzen und jüngeren beim Lernen der Karate-Techniken zu helfen.
Das Gefühl, sich wehren zu können, hilft Kindern, Ängste zu überwinden. Dadurch ist Karate ideal für schüchterne Kinder. Ich zeige den Kindern Möglichkeiten auf, wie sie einen Konflikt deeskalieren und wie sie sich auch gegen verbale Gewalt schützen können.
Frau Jordanova, Sie sind neben Karate-Trainerin - auch Gewaltschutztrainerin. Wie kann Kampfsport zur Gewaltprävention beitragen?
Kampfsport trägt definitiv zur Gewaltprävention bei. Wie wir alle wissen, werden schüchterne, ruhig oder schwach wirkende Menschen eher angegriffen als stark und selbstbewusst wirkende. Es ist logisch, denn die Täter suchen ja ein Opfer und keinen Gegner, der sie eventuell besiegen könnte. Deshalb ist es sehr wichtig, auf die Körpersprache zu achten und sie zu verbessern, damit man nicht als leichtes Opfer eingeschätzt wird. In unserem Training üben die Kinder beispielsweise, wie sie sich in potenziell gefährlichen Situationen verhalten sollen, zum Beispiel wenn sie allein unterwegs sind, verloren gehen, von Fremden angesprochen werden usw.
Durch den Mix aus Kampfsporttraining und Gewaltprävention werden die Kinder selbstbewusster und vertrauen mehr auf die eigenen Fähigkeiten. Das spiegelt sich automatisch in ihrer Körpersprache wider, sie wirken stärker. Viele Eltern berichten, dass die Kinder durch unser Training neue Freunde gefunden haben, aufgeschlossener geworden sind und sich viel besser in der Schule behaupten.
Herr Gruler, auch für Sie ist der Kampfsport, in diesem Fall das Taekwondo, eine körperliche und geistige Disziplin. Was sind für Sie die zentralen, bedeutsamen Elemente im Taekwondo-Training mit Kindern?
Ich denke, aus den Beiträgen meiner beiden Vorredner ist bereits klar geworden: Kampfsportliches Kindertraining ist äußerst vielseitig. Es fördert die Ausdauer der Kinder, ihre Kraft, Schnelligkeit, ihre Reflexe, ihre Koordination und ihre Konzentrationsfähigkeit. Neben den körperlichen Vorzügen koordinativ anspruchsvoller Bewegungen kommen auch noch Respekt, Etikette, Höflichkeit und der Selbstverteidigungsaspekt hinzu. Bei uns trainieren Kinder unterschiedlichen Alters und unterschiedlichen Leistungsstands zusammen in einer Gruppe, sodass Anfängerinnen und Anfänger von den höheren Gürtelträgern lernen können.
Herr Gruler, wir haben gerade gehört, Kampfsporttraining für Kinder ist äußerst vielseitig. Kann das Erlernte auch bei der Bewältigung von Problemen im Alltag helfen?
Das kann das Training auf jeden Fall. Denn es stärkt das Selbstwertgefühl, was sich positiv auf das Sozialleben und die schulischen Leistungen auswirken kann.
Im Bereich des Selbstverteidigungstrainings sollten Eltern jedoch wissen, dass ein reines Training von Verteidigungstechniken den Kindern in einer Gefahrensituation wenig Schutz bietet. Hier geht es in erster Linie darum, die richtigen Verhaltensmuster durch gezieltes Training einzuüben und mental zu verinnerlichen. Denn wie meine Vorrednerin bereits eindrücklich geschildert hat, wird ein introvertiertes Kind eher in einer Opferrolle erkannt als ein Kind mit selbstbewusster Ausstrahlung. Daher stehen in unserem Selbstverteidigungstraining Rollenspiele und Situationstraining im Vordergrund.
Wir danken Ihnen Dreien für das Gespräch.
Gergana Jordanova
Gergana Jordanova vom Stark und mutig e.V. Bad Homburg ist Deutsche Karatemeisterin, lizenzierte Karatetrainerin des Deutschen Olympischen Sportbund (5. DAN) und Gewaltschutztrainerin der Polizei Karlsruhe.
Siegfried Gertel
Judolehrer Siegfried Gertel (4. DAN), Vorsitzender und Mitbegründer des Hadashi Fürstenau e.V., belegte 2012 bei der Europameisterschaft Ü 30 den zweiten Platz und bei der Weltmeisterschaft Ü 30 den neunten Platz.
Hans Gruler
Taekwondo-Großmeister Hans Gruler (6. DAN), Gründer der Abteilung Taekwondo im Turn- und Rasensportverein 1893 e.V. Niederhöchstadt, konnte im Laufe seiner Karriere eine Vielzahl von Meisterschaften für sich bestreiten. Er ist siebenfacher westdeutscher Meister, deutscher Meister und zweifacher Weltmeister.