Markus Hirte
Der neue Kinderfußball: Den Spaß am Spiel nachhaltig fördern
07.03.2023 | Markus Hirte ist seit 2016 Leiter der Talentförderung beim Deutschen Fußball-Bund (DFB). Der 60-Jährige war vorher als Verbandssportlehrer in Berlin tätig sowie für die sportliche Leitung der Leistungszentren von Fortuna Düsseldorf und des Hamburger SV zuständig. Die neuen Spielformen im Kinderfußball begleitet Hirte bereits seit der Konzeptionierungs- und Pilotphase intensiv. Im Interview erklärt er, warum der neue Kinderfußball das Selbstvertrauen der kleinen Fußballerinnen und Fußballer stärkt, auch leistungsschwächeren oder körperlich unterlegenen Kindern die Chance auf Weiterentwicklung ermöglicht und damit für alle den Spaß am Spiel nachhaltig fördert.
Guten Tag, Herr Hirte, der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und seine Landesverbände führen im Kinderfußball für die G-, F- und E-Jugend bundesweit verbindlich neue Spielformen ein. Die Kinder spielen in kleineren Teams, auf teilweise bis zu vier Tore. Was sind die Gründe für die neuen Ansätze im Kinderfußball und was sollen sie bewirken?
Wichtigstes Ziel der Reform ist es, mit einer kindgerechten Art des Fußballs den Spaß am Spiel nachhaltig zu fördern. Die neuen Spielformen sollen allen auf dem Platz so häufig wie möglich die Chance geben, den Ball selbst am Fuß zu haben, aktiv am Spiel teilzunehmen, Tore zu erzielen und damit persönliche Erfolgserlebnisse zu haben. Deshalb wird auf kleinere Teams, kleinere Spielfelder und viel Abwechslung gesetzt. Die individuelle sportliche Entwicklung der Kinder wird gefördert, ihre Begeisterung für den Fußball verstärkt. Einher gehen soll damit eine langfristige und noch engere Bindung zum organisierten Fußballsport. Die Reform soll den gesamten Fußball und seine Vereine an der Basis langfristig stärken.
Der DFB und die BZgA mit ihrer Mitmach-Initiative „Kinder stark machen“ sind langjährige Partner. Inwieweit wirken sich diese Veränderungen im Kinderfußball auch auf die Stärkung des Selbstvertrauens der Kinder aus?
Alle Kinder sind am Spiel beteiligt, haben – wie beschrieben – deutlich mehr Erfolgserlebnisse und Torschüsse. Das waren klare Erkenntnisse der mehrjährigen Pilotphase. Mehr persönliche Erfolgserlebnisse bedeuten auch eine Stärkung des Selbstvertrauens. Gerade leistungsschwächere oder auch körperlich unterlegene Kinder sind in den klassischen Wettbewerbsformaten zum Teil untergegangen und haben dadurch den Spaß am Spiel und die Chance auf Weiterentwicklung verloren. Die neuen Spielformen sollen den Kindern bessere Möglichkeiten bieten, Fußball so zu spielen, dass sie häufig in Aktion sind und dabei Spaß haben. Wir sind optimistisch, damit mehr Kinder dauerhaft für den Fußball und das aktive Fußballspielen zu begeistern. Kinder lernen auch besser, wenn sie etwas mit Freude machen. Wenn sie beteiligt sind und sich für das Geschehen auf dem Platz als wirksam erfahren. Die veränderten Spielformen schulen darüber hinaus die Selbstständigkeit der Spielerinnen und Spieler und minimieren das Coachen durch die Trainerinnen und Trainer sowie die Einflussnahme der Eltern auf das Nötigste. Die Kinder lernen, verstärkt eigene Lösungen zu finden.
Wie ist die Akzeptanz zum neuen Kinderfußball in den Vereinen? Gibt es Berührungsängste? Und wenn ja, wie hilft der DFB ihnen, sie abzubauen?
Das Feedback der Kinder war und ist sehr positiv. Wenn Skepsis geäußert wird, dann von Erwachsenen, die mit den traditionellen Spielformen groß geworden sind. Auffällig ist dabei, dass Kritik meist von denjenigen geäußert wird, die mit dem neuen Kinderfußball selbst noch wenig oder gar keine direkten Erfahrungen gesammelt haben. Wir haben auch noch mit verbreiteten Irrtümern zu tun, beispielsweise dass nun bis zur E-Jugend keine Torhüterinnen und Torhüter zum Einsatz kommen und nur mit vier kleinen Toren gespielt wird. Das stimmt nicht. Tatsächlich sind die neuen Spielformen sehr flexibel und erlauben schon ab der F-Jugend den Einsatz von Jugendtoren, während auf Nebenspielfeldern parallel auf kleine Tore gespielt werden kann. Außerdem wird fälschlicherweise oft noch angenommen, dass im Kinderfußball nur noch Funino, also 3 gegen 3 gespielt wird. Die neuen Spielformen sind aber viel mehr als das und sehr flexibel. Der Grundsatz ist dabei: Die Mannschaften und Spielfelder wachsen mit den Kindern.
Gibt es noch andere Dinge, welche die Vereine bei der Reform bewegen?
Wichtiges Thema in den Vereinen sind die organisatorischen Herausforderungen – also dass ausreichend Minitore zur Verfügung stehen oder der Aufbau der Felder. Das muss sich weiter einspielen. Wir stellen aber fest, dass die allgemeine Akzeptanz im Laufe der Pilotphase deutlich gewachsen ist. Viele erkennen, dass die neuen Spielformen schlicht Sinn machen für die Kinder und damit auch für die Vereine. Um sich daran weiter zu gewöhnen, ist die verbindliche bundesweite Einführung bewusst erst für Sommer 2024 beschlossen worden. So ist dort, wo es nötig ist, noch eine Übergangsphase gegeben.
Warum lohnt es sich für Kinder, im Verein Sport zu treiben und warum wird allem voran gerade der neue Fußball Kindern viel Spaß und Freude bereiten?
Sport im Verein bietet so viele Mehrwerte, angefangen von der Bewegung über Gemeinschaftserlebnisse bis hin zu Werten wie Respekt und Fairplay. Die Begeisterungsfähigkeit von Kindern für den Sport im Allgemeinen und Fußball im Speziellen sehe ich dabei ungebrochen. Schwieriger ist, die Kinder dauerhaft im organisierten Sport zu halten. Deswegen wird es immer wichtiger, ihnen den grundsätzlichen Spaß zu erhalten und zu vermitteln. Dabei ist ihre Beteiligung am Geschehen der Schlüssel.
Herr Hirte, wir danken Ihnen für das Gespräch.