„Du bist stark, ich bin bei dir“

Kleine Bindungsbotschaften mit großer Wirkung – Ein Gastbeitrag von Nora Imlau

Endlich große Pause! Lia öffnet ihre Brotdose und entdeckt, dass auf ihrem Käsebrot ein kleiner Zettel liegt. „Glaub an dich, wir tun das auch!“ steht darauf. Lia lächelt. Sie fühlt sich selbstbewusst und nicht allein. Und den Mathe-Test nachher? Den wird sie schon schaffen, jetzt geht sie erstmal spielen!

Wie ist es möglich, dass eine kleine Botschaft so eine große Wirkung entfaltet? Das ist das Geheimnis gelingender Bindungsbeziehungen. Es ist nämlich in Wahrheit nicht der Zettel, der Lia stärkt. Sondern das Gefühl, das er in Lia weckt und das ihr vertraut ist, seit sie ein kleines Baby war: Bindungssicherheit – die Superkraft schlechthin, wenn es um Selbstbewusstsein, aber auch ums Spaßhaben, Freunde finden und Lernen geht.

Doch was ist das überhaupt: Bindung? In der Entwicklungspsychologie wird die Bindung oft als ein unsichtbares Band beschrieben, das Menschen über Raum und Zeit hinweg miteinander verbindet. Bindung beschreibt also eine zwischenmenschliche Beziehung, die so tief geht, dass sie auch dann spürbar ist und in uns wirkt, wenn wir nicht zusammen sind. In der Natur ist es fest angelegt, dass zwischen Eltern und ihrem Kind eine starke Bindung entsteht. Das passiert wie von allein. Doch je nachdem, welche Erfahrungen Kinder mit ihren Eltern machen, entwickelt die Bindung eine ganz individuelle Färbung. Manchmal ist die Bindung zwar da, aber von Angst, Unsicherheit und Misstrauen geprägt. Machen Kinder hingegen die Erfahrung, dass ihre Eltern fürsorglich für sie da sind und sie auch liebhaben, wenn sie mal wütend, traurig oder frech sind, entsteht eine sichere Bindung als wunderbare Basis für ein gelingendes Leben. Denn sichere Bindungserfahrungen bewirken, dass Kinder sich selbst und anderen vertrauen und Freude am Lernen und Entdecken haben. Sie trauen sich, ihre eigenen Gedanken und Gefühle zum Ausdruck zu bringen und ganz sie selbst zu sein, anstatt sich zu verbiegen, um anderen zu gefallen.

Eine sichere Bindung entsteht und wächst in unzähligen kleinen Momenten. Wenn wir unser Baby hochnehmen, wenn es weint. Wenn es Milch bekommt, wenn es Hunger hat. Beim gemeinsamen Spielen und Lachen, Trösten und Kuscheln, Vorlesen und Träumen. Aber auch, wenn wir miteinander einen Konflikt austragen, eine Grenze hochhalten, ein klares Nein aussprechen, stärkt das die sichere Bindung, weil unsere Kinder dadurch spüren: Auf meine Eltern kann ich mich trotzdem verlassen. Sie beschützen mich, auch wenn ich das mal blöd finde. Und wenn ich darüber wütend bin, halten sie das mit mir aus.

Damit eine sichere Bindung entsteht, braucht es jedoch keine perfekten Eltern. Wenn wir im stressigen Familienalltag auch mal die Nerven verlieren, schimpfen und meckern, zeigt das unseren Kindern, dass wir Eltern eben auch Menschen sind, mit Fehlern und Schwächen. Das macht die Bindung nicht kaputt. Im Gegenteil: Streit zu haben und sich dann wieder zu vertragen und um Verzeihung bitten zu können, ist eine wertvolle Bindungserfahrung. Denn sie zeigt Kindern, dass sich Bindung immer wieder reparieren lässt, wenn es doch mal eine Verbindungsstörung gibt.

Babys und Kleinkinder entwickeln Bindungssicherheit vor allem im direkten Miteinander und beim engen Körperkontakt mit ihren Eltern. Ältere Kinder brauchen von ihren Familien vor allem emotionale Sicherheit, wenn sie ihre eigenen Wege gehen. Sicher gebundene Kinder spüren dann: Ich darf auf eigene Faust die Welt entdecken und habe gleichzeitig einen sicheren Hafen, in den ich immer zurückkehren kann und wo ich immer willkommen, geborgen und geliebt bin.

Unseren Kindern ein sicherer Hafen sein: Wie gelingt das ganz konkret? Indem wir das in den Baby- und Kleinkindjahren entstandene Grundgefühl emotionaler Sicherheit in unseren größer werdenden Kindern wachhalten. Zum Beispiel durch kleine, stärkende Bindungsbotschaften, die wir ihnen in der Brotdose oder in ihrem Federmäppchen mitgeben: „Ich bin wunderbar so wie ich bin“ – „Wir sind so stolz auf dich“ – „Meine Gefühle sind richtig und wichtig“. Diese Sätze rufen in Schulkindern all das Gute in Erinnerung, was wir ihnen in ihrer frühen Kindheit bereits mitgegeben haben. Sie möchten es jetzt aber nochmal neu und anders hören, um es immer noch zu glauben.

Denn in der Schule sind Kinder ständiger Bewertung ausgesetzt. Sie bekommen Noten und Smileys unter ihre Arbeitsblätter, stehen auf der Verhaltensampel im Klassenzimmer auf Rot oder Grün, werden gelobt oder getadelt. Umso wichtiger ist es, dass sie als Gegengewicht dazu von Zuhause die emotionale Sicherheit bekommen, IMMER wunderbar und geliebt zu sein – unabhängig von allen Zensuren, einfach, weil sie SIE sind.

Besonders wertvoll sind Bindungsbotschaften für Kinder, wenn sie sich durch die Auswahl von ihren Eltern so richtig gesehen fühlen, weil die kleine Nachricht zum aktuellen Gefühl oder Bedürfnis passt. „Ich bin mutig und stark“ ist vielleicht genau die richtige Botschaft für ein schüchternes Kind am Sporttag, „Wie gut, dass es genau DICH gibt!“ kann ein Kind trösten, das heute Streit hatte. Jüngere Kinder lieben die ganz kurzen, leicht lesbaren Botschaften wie „Du bist toll!“, ältere Kinder mögen oft Impulse, die zum Nachdenken anregen, wie z. B. „Ich bin so viel mehr als meine Noten.“

Liebevoll ausgewählte oder selbst verfasste Bindungsbotschaften in der Brotdose können so ein wertvoller Bindungs-Booster sein, der die Eltern-Kind-Beziehung stärkt. Denn sie erinnern unser Kind daran, dass auch jetzt, wo es älter wird, immer noch und vorbehaltlos gilt, was wir ihm als Baby schon versprochen haben:
Wir lieben dich und sind immer für dich da.

Hier können Sie 24 Bindungsbotschaften herunterladen und ausdrucken.

 

Nora Imlau ist Journalistin und Mutter von vier Kindern. Als Fachautorin für Familienthemen schreibt sie Sach- und Kinderbücher, ist Kolumnistin für die Süddeutsche Zeitung sowie die Zeitschrift Eltern und tritt als Referentin auf Fachkongressen auf. Sie ist die Erziehungsexpertin des ARD Mittagsmagazins und der Fernsehsendung „MDR um 4“.